Donnerstag, 07.12.2006, der Tag danach.
Der Nikolaustag 2006 wird bei vielen Eltern in Erinnerung bleiben. Gestern bekamen wir Eltern erstmalig real zu spüren, wie es sein kann, wenn man morgens sein Kind in die Schule bringt und nicht weiß, ob es mittags wieder heil nach Hause kommt.
Was war passiert ?
Kultusminister Helmut Rau (CDU) hat am Abend des 05.Dezember die Öffentlichkeit darüber informiert, dass es Hinweise auf einen geplanten Amoklauf eines Schülers an einer Schule in Baden-Württemberg gäbe. Der Hinweis kam von zwei Schülern, die am 26. November während eines sogenannten „Killerspiels“ über das Internet kontakt zu einem Unbekannten hatten, der mit der Androhung eines Amoklaufs am Nikolaustag in seiner Schule in Baden-Württemberg prahlte. Der Hinweis ging dann am 1. Dezember bei der örtlichen Polizei ein, jedoch wurden erst am 4. Dezember die Landeskriminalämter Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg über die Sachlage informiert. Wer böses denkt, könnte ja jetzt das dazwischenliegende Wochenende als Ursache für die Verzögerung verantwortlich machen -vielleicht arbeiten die Polizei oder die Landeskriminalämter nicht am Wochenende.
Erst am frühen Nachmittag des 5. Dezembers erreichte die Nachricht dann den Innen- und Kultusminister von Baden-Württemberg.
Da der Verdacht nach einigen Stunden immer noch nicht eingegrenzt werden konnte, entschlossen sich die beiden Minister dann, die Öffentlichkeit zu informieren. Erst um 17.06 Uhr gingen E-Mails an die Schulleiter raus und ca. eine Stunde später gab es eine Pressekonferenz. Sicherlich haben alle Schulleiter die E-Mail gelesen, denn diese arbeiten ja bekanntlich bis weit nach 17:00 Uhr oder verfügen über einen Blackberry.
Wie wurde reagiert ?
Die Reaktionen am Morgen des 6. Dezembers vielen sehr unterschiedlich aus. In der Presse wurde berichtet, dass überall an den Schulen die Polizei präsent wäre und verstärkt Streife fahren würde. Aus meiner persönlichen Sicht musste ich leider feststellen, dass dies wohl unterschiedlich von Schule zu Schule oder Stadt zu Stadt gehandhabt wurde. Für mich persönlich zeigte sich am Mittwoch morgen ein ganz anderes Bild. An „meiner“ Schule, übrigens eine Grund- und Haupt-/Realschule auf einem Gelände zeigte sich leider ein ganz anderes Bild. Hätte man nicht vorab von der Situation aus der Presse oder durch andere Eltern erfahren, wäre der Schulmorgen „business as usual“ gewesen. Es fuhr zwar innerhalb von 15 Minuten zweimal eine Streife durch die Strasse der Schule und der zweite Wagen parkte auch mal kurzzeitig vor der Schule, jedoch bequemte sich keiner der Beamten auch einmal das Auto zu verlassen und tatsächlich Präsenz zu zeigen. Ein paar Minuten nach Schulbeginn der ersten Stunde war die Streife auch schon wieder verschwunden. Laut weiteren Informationen soll es später sogar ein Streifenwagen geschafft haben, auf den Hof der Schule zu fahren.
Wie war meine Reaktion ?
Nachdem ich nun im Büro war und die Nachrichten genauer verfolgen konnte, machte sich ein großes Unwohlsein in mir breit. Entgegen der Beteuerungen in der Presse hatte ich einen ganz anderen Eindruck von der wirklichen Situation vor Ort, zumindest vor „meiner“ Schule. Ich griff daraufhin zum Hörer und telefonierte durch die Weltgeschichte. Zuerst die örtliche Polizei, dann das Sekretariat der Haupt-/Realschule, da in der Grundschule morgens ja nur ein AB läuft. Dann die Redaktion der örtlichen Presse, die übrigens erst ab ca. 10:00 Uhr anfängt zu arbeiten.
Das Fazit – Zeitverschwendung. Überall hörte man nur BlaBla und Polizei ist da, alle Maßnahmen sind getroffen, die Leute sind informiert und geschult. Selbst die Presse hatte eigentlich keine richtige Interesse dafür, dass die propagierten Maßnahmen eigentlich garnicht stattfanden oder zumindest sehr lückenhaft stattfanden.
Lustig waren besonders die widersprüchlichen Informationen. Die Polizei erzählte mir, die Schulen wären informiert und vorbereitet, Aufsichtspersonal wäre vor Ort und die Mitarbeiter der Schulen wären geschult. Die Schule selbst lachte nur darüber, denn Aufsichtspersonal gibt es schlicht und ergreifend nicht.
Im Laufe der ersten Stunde brachte mich die Situation sogar nahe an den Punkt, direkt wieder loszufahren und meinen Sohn aus der Schule abzuholen. Das einzige was mich dann davon abhielt war die Angst, die Situation dann nachhaltig für meinen Sohn zu verschlimmern. Das wollte ich dann auch wieder nicht riskieren und so bangte ich bis zum Zeitpunkt, an dem er Schule aus hatte und wohlbehalten im Hort ankam. Ich glaube den fallenden Stein konnte jeder im Büro hören.
Im Laufe des Nachmittags kamen dann auch erste eventuelle Fahndungserfolge in der Presse auf bezüglich eines vermissten 18 jährigen Schülers aus Offenburg. Später stellte sich dann ja heraus, dass er sich mit der Waffe seines Vaters, einer Walter P38 aus dem 2. Weltkrieg erschossen hatte.
Der Abend gestaltete sich dann mehr oder weniger so, dass man froh war, dass nichts passiert war aber trotzdem die Angst blieb, was denn Morgen sein könnte. Interessanterweise verlief an „meiner“ Schule der Tag wie gewöhnlich, auch die Hofpause fand statt wie immer. Andere Schulen reagierten da teilweise anders. Hofpause fand im Klassenzimmer statt, Türen wurden abgeschlossen und Zugänge reduziert, einige Schulen schlossen sogar.
Der Tag danach ?
Die Presse propagiert, dass die Sicherheitslage immer noch als ernst angesehen wird und die Polizei weiterhin Schulen kontrolliert und erhöhte Präsenz zeigt. Und ratet mal wie sich die Situation vor „meiner“ Schule darstellt ? RICHTIG ! Keine Polizei weit und breit.
Immerhin wurde eine Hotline im Regierungspräsidium Karlsruhe eingerichtet, über die besorgte Eltern Informationen erhalten könnten.
Ich habe das natürlich auch gleich mal genutzt und versucht in Erfahrung zu bringen, welche Maßnahmen die Polizei denn tatsächlich durchgeführt hatte und noch weiterhin durchführt. Die einzige Maßnahme vom Regierungspräsidium war wohl die, dass die Polizei angewiesen wurde, verstärkt Streife zu fahren und sich jeweils mit den örtlichen Schulleitungen in Verbindung zu setzen um die weiteren Maßnahmen zu besprechen. Die Maßnahmen selbst lägen in der Verantwortung der Schulleitungen in Absprache mit der örtlichen Polizei.
Nachdem die Uhr nun mittlerweile 09:10 Uhr anzeigte, war es ein guter Zeitpunkt, mal die Schulleitung der für mich zuständigen Grundschule (die Grundschule liegt im übrigen im Hinterhof der Haupt-/Realschule) anzurufen und mal nachzufragen, welche Maßnahmen denn stattgefunden haben und heute noch stattfinden.
Das Gespräch war mehr als ernüchternd. Nach den üblichen Ausreden, wer gerade krank ist und wo man selbst am besagten morgen unterwegs war kam eigentlich nur die Erkenntnis, dass nach Meinung der Schulleitung wohl ausreichende Maßnahmen getroffen wurden. Die Polizei hätte bereits um 07:30 Uhr die Schule kontaktiert, Telefon- und Handynummern wurden ausgetauscht, die Polizei wäre ausreichend präsent gewesen und wäre sogar durch die Gänge der Schule gelaufen !! Und im Notfall hätte man ja schnell reagieren können….
Aufgrund meiner persönlichen und sicherlich sehr subjektiven Erfahrungen war für mich eins ganz klar, letztlich wurde keine bzw. nicht ausreichend Maßnahmen getroffen. Die übliche Ausrede von Personalmangel in der Schule und bei der Polizei rechtfertig dann auch noch die, aus Sicht der Schulleitung, ausreichend getroffen Maßnahmen.
Auf meine Frage hin, ob es für solche Fälle nicht einen Notfallplan gäbe wurde mit der Vorschlag unterbreitet, ich könne doch einen Plan ausarbeiten und zur Verfügung stellen !?
Übrigens gibt es bis heute noch keine offizielle Information der Schule an die Eltern über die getroffenen Maßnahmen und wie man mit der Sache gegenüber den Schülern umgeht. Und das wäre das mindeste, was man als Eltern erwarten könnte ! Von einer Schule in unserem Stadtgebiet ist sogar bekannt, dass der Rektor höchst persönlich morgens die telefonische Hotline in der Schule besetzte.
Mein persönliches Fazit (Achtung, eigene subjektive Meinung !)
Meiner Meinung nach ist unser Staat, unsere Polizei und auch unsere Schulen völlig überfordert mit solch einer Situation. Die Presse versucht uns in Sicherheit zu wiegen doch die Realität sieht erschreckend nüchtern aus. Man hört wieder die üblichen Sprüche von wegen Personalmangel, vollständige Sicherheit kann man nicht erreichen etc. bla bla. Ich denke den Leuten ist nicht ganz klar geworden, dass diese Gefahr überall in den Schulen bereits angekommen ist und Reaktionen und keine Strauspolitik abverlangt.
Natürlich ist das eine Situation, wie wir sie vorher noch nie hatten. Aber wie auch jeder Arbeiter in seinem Job kommt ab und zu mal der Punkt, wo man improvisieren muss. JA Leute, improvisieren, schnelle Entscheidungen treffen und handeln anstatt sich hinter Ausreden oder Mißständen zu verstecken und Mikado zu spielen. Auch wer nichts tut, macht Fehler !
Ich persönlich kann mich nicht gegen den Eindruck wehren, dass viele unsere Beamten und Bedienstete des öffentlichen Dienstes immer noch mit einer rosa Brille umherlaufen. Arbeiten oder Dienst haben bedeutet auch Verantwortung tragen, Einsatz zeigen, Leistung bringen und nicht jede Minute in EURO und Cent aufwiegen oder bereits 30 Minuten vor Dienstschluss ja nicht mehr ans Telefon zu gehen, da es sonst vielleicht länger dauern könnte. Da fällt mir eine kleine Anekdote ein: „Warum kontrollierst du nicht die ersten Seiten bevor du weitere 1000 falsch druckst ? Was regst du dich auf, DU musst es ja nicht bezahlen !“
Besonders unsere Politiker möchte ich da in die Verantwortung nehmen. Ich habe oft den Eindruck die handeln nach dem Motto eines Hochausspringers, der nach jedem Stockwerk, an dem er beim Fallen vorbeikommt sagt, „bis hierher ging´s gut“. Da wird über das Verbot von sogenannten „Killerspielen“ diskutiert anstatt die Wurzeln allen übels anzupacken. Tut doch endlich mal was für die Menschen, die Kinder und Jugend dieses Staates und somit auch für die Zukunft unserer Gesellschaft, anstatt euch in taktischen Manövern und geschickten politischen Aktionen zu verheddern.
Und für alle die, die jetzt kommen und mir erzählen, vollständige Sicherheit gäbe es nicht, ein Amoklauf wäre im Prinzip nicht zu verhindert, daher wären die getroffenen Maßnahmen ausreichend gewesen. Käse ist das ! Wenn ich nur danach gehen würde, bräuchten wir auch keine Firewall´s und Antivirenprogramme, denn 100%ige Sicherheit gibt es ja nicht. Dann bräuchten wir auch keine Waffengesetze, denn trotz Gesetz kommt jeder mit etwas Mühe an eine Waffe. Dann bräuchten wir Sterbenskranken auch keine Medikamente geben, denn die sterben am Ende ja sowieso.
Mittlerweile wundert es mich nicht mehr, dass Deutschland immer weiter dem Abgrund entgegensteuert. Mit so einer Einstellung und mit solchen Leuten kann es nur noch bergab gehen. Und das ist sicherlich erst der Anfang……
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