Amoklauf – Selbstmord war gestern

Nach dem Amoklauf des Cho Seung Hui am 16. April an der Universität Virginia Tech in Blacksburg, wird wieder Schema F von allen Medien abgespult. Alle sind bemüht, möglichst viel über den Amokläufer und seine Motive ans Licht bringen:
Von selbst gedrehten Videobotschaften, Fotos, Aussagen von MitschülerInnen und Lehrern über sein Sozialverhalten, das Ergebnis der Hausdurchsuchung bis zu seinem Einkaufsverhalten bei einem großen Online-Auktionshaus – Alles wird ans Tageslicht gezerrt. Alles wird haarklein analysiert.
Verständlich – will man doch eine Erklärung für die Tragödie finden.

Doch vielleicht ist genau DAS ein Teil der Erklärung!

Nach jedem neuen Amoklauf wird wochenlang durch sämtliche Medien analysiert, über mögliche Ursachen berichtet. Die Opfer werden aufgelistet – die Überlebenden in Talkshows gezerrt.
Interviews mit den üblichen Lobbyisten und C-Klasse-Politikern werden geführt, in denen gebetsmühlenartig ohne Sachverstand die üblichen Forderungen (meist Verbote von Killerspielen) ausgesprochen werden.
Es wird in der Vergangenheit des Amokläufers rum geschnüffelt – jedes kleinste Detail kommt ans Licht.
Und das weltweit – wochenlang.

Gar eine Liste der Amokläufe wird gepflegt. Neben Littleton-Colorado (15 Tote) und Columbine High (13 Tote) hat auch dieser Amoklauf schon seinen festen Platz in der Liste gefunden.

Niemand wird je Cho Seung Hui vergessen. Bei jedem neuen Amoklauf wird sein Name in Verbindung mit seinem Amoklauf an der Virginia Tech wieder in aller Munde sein.

Bei all der Berichterstattung stellt sich mir die Frage:
Ist genau diese Berichterstattung, dieser Umgang mit Amokläufen vielleicht auch ein Grund, warum manche Menschen diesen als ihren letzten Weg wählen?

Einige Punkte sprechen dafür bzw. scheinen Indizien für die These zu sein:
– Die Videos und Bilder hat Cho Seung Hui am Tag des Massakers selbst dem Fernsehen zugeschickt. Er wollte also, dass das ganze durch die Presse geht. Einen wirklichen Sinn bzw. eine klare Nachricht konnte man jedoch bisher den Videos nicht entnehmen.
– Trittbrettfahrer haben schon mehrmals kurz nach Amokläufen neue Massaker an Schulen und Universitäten angekündigt. Ist das ein Zeichen für das Bedürfnis Dritter, zeitnah im Rahmen des Medienspektakels erwähnt zu werden?

Zeigt uns dies nicht, welche Wirkung das Ganze auf manche Menschen hat? Welche Eindrücke solche Tragödien und der anschließende Medienrummel hinterlassen können?

Ich denke, es wird immer Menschen geben, die in der Gesellschaft ihren Platz nicht finden. Es wird auch immer Menschen geben, die so lange in eine Ecke gedrängt werden, bis diese keinen anderen Ausweg mehr als den Freitod sehen.
Doch wählen einige evtl. deshalb den Weg eines Amoklaufs, um noch möglichst viel Aufmerksamkeit mit ihrem Tod zu erregen?
Wird zur Alternative zum einsamen Freitod vielleicht deswegen ein Amoklauf gewählt, weil zum Ausleben der Wut und der Frustration noch die Gewissheit kommt, dass die nächsten 50 Jahre niemand auf unserem Planeten den Namen des Amokläufers vergessen wird?

Einmal weltbekannt sein – auch wenn es nach dem Tod ist? Auch wenn es zig anderen Menschen das Leben kostet?

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